November/Dezember 2011

Unser Boot liegt seit gestern im Hafen des Club Nautico am Steg. Hier wird es gut bewacht, waehrend wir uns einige Zeit im Land umschauen wollen. Der Wecker klingelt um 5.30 Uhr, wir nehmen die Rucksaecke und das erste Taxi um zum Flughafen zu fahren. Unser erstes Ziel ist Barichara. Die Kolumbianer behaupten, es sei der traditionellste und schoenste Ort des Landes und die Erzaehlungen von Besuchern dort bekraeftigen es.

Etwas umstaendlich ist die Reise dorthin. Wir fliegen 1 Stunde bis Bogota, steigen dort um in den Flieger gen Bucaramanga. Dies ist die Hauptstadt der Provinz Santander. Von hier faehrt ein Bus 3 Stunden nach St. Gil, wieder umsteigen und mit dem Taxi 30 min nach Barichara. So ist allein die Anfahrt schon ein eindruckvolles Unternehmen.

Durch den verspaeteten Anschlussflug erreichen wir Bucaramanga am Nachmittag, so dass keine Zeit mehr bleibt fuer die Weiterfahrt . Im Dunkeln wollen wir nicht ankommen in St Gil und eine Bleibe suchen. Wir nehmen fuer diese Nacht ein Hotel in der Stadt.

Bucaramanga ist eine moderne Hauptstadt mit einem aeusserst vitalen Geschaeftsleben, Handels- und Industriemeile schlechthin. Tourismus gibt es nur ausserhalb im Gruenen, Geschaeftsreisende halten hier an und nehmen ihre Termine wahr. Im Zentrum bilden die Einkaufsmalls den Kern im traditionellen Stil. Ein Einkaufsthema fuellt eine ganze Etage oder Strasse, eine Etage n u r Schuhe, oder nur Taschen, Jeans usw.
Wir werden regelrecht erschlagen von den Konsumguetern, die man in diesen Mengen nicht braucht und von denen man/frau dennoch nie genug haben kann. Koennt Ihr Euch eine lange Strasse vorstellen mit Geschaeften, bestueckt z.B. nur mit Haarspangen und Schleifen? Es ist so voll und wuselig ueberall, dass wir es gar nicht fotografieren koennen.

Wir werden geschubst und bedraengt, in Ruhe etwas gucken geht nicht und wir stehen den aktiven suchenden Kaeufern im Weg. Die Einheimischen haben keine Beruehrungsaengste. Mit einem Laecheln und „disculpa“ werden die Ellbogenstoesse in die Rippen und die versehentlichen Fusstritte mit spitzesten Stoeckelschuhen aus der Welt geschafft. Apropo Stoeckelschuhe, Wir starren bereits seit Cartagena fasziniert auf Damenfusse in Gebilden auf hohem Sockel, mit denen die Muchachas umherstolzieren als waeren sie so bequem wie Birkenstocksandalen. Mehr oder weniger elegant ist der Gang, aber trittsicher. Nie sahen wir so viele Schuhe zum Kauf auf einmal, jedoch meine Suche nach bequemen Tretern bleibt erfolglos.

Selbst draussen auf den Wegen und Buergersteigen bewegen wir uns kaum selbstaendig, das Gedraenge der Menschenmengen zwaengt sich zwischen den Obst- Getraenke- und Snackstaenden hindurch, die eine Vielfalt fuer das leibliche Wohl anbieten. Wie ueberall im Land wird warmes Essen wie Reis mit Bohnen und etwas Huehnchen oder Ziege aus Steroporbehaeltern heraus an den Strassen verkauft. Manch einer kocht es zu Hause und bietet es an fuer wenige Pesos. Kolumbianer essen meist an der Strasse oder in den traditionellen Garkuechen.

Nach unserem ersten Bad in dieser Menschenmenge tauchen wir ab in ein ebenso wuseliges Cafe und betrachten das Geschehen nun von dort aus mit leckeren Empanadas und frischem Fruchtsaft. Im Hotel fielen uns bald die Augen zu, es war ein langer aber interessanter Reisetag.

Am naechsten Morgen faehrt uns ein Bus fast nur ueber steil ansteigende Serpentinen durch die Berge. Die Landschaft wechselt staendig. Gruene Waelder und Wiesen wechseln sich ab, aber bald sehen wir die ersten Auslaeufer der Anden mit ihren schroffen Felsen. In den Baeumen haengt malerisch das Louisiannagras, dass wir aus den Suedstaaten von USA bereits kennen. Riesige Bananenplantagen zeigen sich in der Landschaft, Kaffeefelder und Zuckerrohr. Bei kurzen Stops unterwegs stuermen die Haendler den Bus und bieten ausser Getraenken und Empanadas auch Andenken jeglicher Art an.
Der intensive Duft der Frangipaniblueten ist betaeubend, Orangen- und Pampelmusenbaeume saeumen den Strassenrand sowie riesige Kakteen und Agaven

Ueber weite Strecken wird die Strasse sehr schmal, rechts und links nur hohe bedrohliche Felsen. Der Regen hat einiges an Steinen rausgespuelt und so mancher Abhang ist auf die Strasse gerutscht. Auffallend rote Erde und rote Steine bringt Santander hervor und ueberall wird damit gebaut. Die Fahrt dauert wesentlich laenger als erwartet, das gefaellt uns.

In Barichara angekommen, steigen wir am Kirchplatz aus und suchen uns eine Bleibe fuer ein paar Tage. Der Lonely Planet Reisefuehrer fuehrt uns ins 300 Jahre alte Hotel Corata, im traditionellen Stil gehalten, sauber und gut bezahlbar. Vom Innenhof schauen wir auf die aelteste Kathedrale im Ort.

Der Legende nach erschien Anno 1702 einem Bauern die Gottesmutter und er bekam die Anweisung, in dieser einsamen Berglandschaft hoch auf dem Wipfel eine Kapelle ihr zu Ehren zu errrichten. Der brave Mann gehorchte und legte den Grundstein fuer eine spaeter gut besuchte Pilgerstaette. Drei Jahre spaeter gruendete an dieser Stelle ein Kapitaen die Stadt San Lorenzo de Barichara. Ein wirkliches Kleinod, das durch seine Popularitaet keinesfalls den urspruenglichen Charakter verloren hat.
Es ist ein Bilderbuchdorf im laendlichen spanischen Kolonialstil. Weissgekaelkte Mauern, rote Dachziegel, Sockel und Boeden aus gelblichen Steinen, Tueren und Balkone aufwaendig geschnitzt und gedrechselt. Man sieht den alten Haeusern die 300 Jahre nicht an, sie werden gut gepflegt. 1978 wurde es zum Nationalen Kulturerbe erklaert. Malerisch ist es im Hochland gelegen, hindurch fliesst der Rio Suarez.

Es wundert uns nicht, dass Hollywood sich diesen Ort als Filmkulisse ertraeumt. So dient die Umgebung als Schauplatz mancher Kinofilme und allgegenwaertige Telenovelas werden hier gedreht. Die Gassen wirken friedlich, verschlafen, vertraeumt.

Mittelpunkt ist der Kirchplatz mit einem kleinen Park. Die gewaltige alte Kathedrale Immaculada Conception ist eigentlich viel zu gross inmitten dieses kleinen Dorfes. Bei Sonnenuntergang sehen wir, wie sich die braun-goldenen Steine in ein warmes Orange verfaerben. Mit Recht sind die Einheimischen stolz auf ihren Prachtbau. Es gibt einige Kirchen und Kapellen in unmittelbarer Umgebung, kleiner aber nicht weniger kunstvoll Stein auf Stein gebaut. Holz und Steine aus den nahegelegenen Steinbruechen sind reichlich vorhanden.

So mancher Familie sichert diese natuerliche Quelle den Lebensunterhalt. Steinmetzkunst ist ein Hauptschwerpunkt und auch die Kunstszene ist hier aktiv. Die Andenken, die jedoch in vielen Artesaniaslaeden angeboten werden, gehen mehr in den Kitschbereich.

So gestalteten auch ansaessige Kuenstler einen Steinpark hoch auf dem Berg, der zusaetzlich einen einmaligen Aussichtspunkt in die Berge und auf den Fluss bietet. Eine Augenweide in jede Richtung.

So klein und ueberschaubar wie Barichara ist, erlaufen wir uns taeglich diesselben Strassen, Kirchen und Gebaeude. Es tut gut, endlich mal wieder in gemaessigten Themperaturen durch die Gegend zu laufen. Ausgiebige Spaziergaenge fuehren auf immer neue voellig unspektakulaere Fleckchen Erde, die Natur ist ein Geschenk des Himmels. Dies ist der Ausgleich fuer die lange Zeit auf dem Wasser.

Niemand geht an uns vorbei ohne ein freundlichen Ola oder come esta? Abends sind die Gassen ab 19 Uhr wie ausgestorben, Dorfleben pur, ja, ja. Allerdings gibt es auch keine kleinen Kneipen, in denen man etwas trinken kann. Einheimische Kuechen und ein paar „Restaurants“ zum Essen ja, aber fuer die erfrischenden Momente kauft man sich ein Bier in den Tiendas (kl. Laeden) und setzt sich draussen auf einen Stein.

Was bei uns Kneipen sind, wird hier ausgeglichen mit Cafes. In jeglichen Variationen auch mit Likoeren oder Rum. Der kolumbianische Kaffee ist fuer unseren Geschmack sehr aromatisch, sogar ich als passionierte Teetrinkerin steige kurzfristig um auf dieses Volksgetraenk.

Zwei Tage haben wir Glueck mit dem Wetter. Strahlende Sonne schenkt uns gute Belichtung fuer unsere Fotos. Die folgenden Tage nehmen wir gern den grossen Hotelschirm an, der uns angeboten wird. Die grossen schwarzen Wolken sammeln sich im regelmaessigen Turnus und entladen sich sturzbachartig. Aber auch das ist nicht nur nass, sondern auch ein tolles Schauspiel, denn meist lauern im Hintergrund bereits die naechsten Sonnenstrahlen, die sich mit dem Schwarz der Wolken treffen.

Die Innenhoefe, so auch im Hotel, sind einfach genial. Du musst nicht immer direkt in das Unwetter raus, draussen sitzend prasseln die Schauer an uns vorbei und wir bleiben trocken. Das Hotel ist ein Gluecksgriff. Sagen sich auch die vielleicht 300 Jahre alten Termiten und obwohl die Zimmer blitzeblank gewischt sind stuerzen sie nachts aus ihren Geheimgaengen, nur weil wir ein paar Kekskruemel haben fallen lassen. Welch ein Schreck, als ich nachts Licht machte und diese Krabbeltiere sah, jedes fast so gross wie ein Gummibaerchen. Bei Licht flitzen sie wie irre wieder in ihre Loecher und ich frage mich, ob ich das getraeumt habe. Na gut, sie waren vor uns da ....... Augen zu und weiterschlafen.

Auf dieser aktuellen Baustelle koennen wir gut sehen, wie sich bis heute Tradition und Moderne verbinden:

Hasta luego and by, by , der Bus bringt uns zum Hauptterminal nach St. Gil. Wir kaufen Fahrkarten nach Bogota. Diesmal haben wir eine 7stuendige Busreise vor uns in die 6,8 Millionen Hauptstadt des Landes. Viele Menschen reisen dorthin und so kommen wir in den Genuss des ersten grossen Reisebusses mit lauter Kreischmusik und bis zum Anschlag aufgedrehter Klimaanlage. Es ist gar nicht so heiss draussen, hat aber Tradition! Daher auch die Frage der mitleidig guckenden Einwohner angesichts unserer Sommerkleidung, ob wir denn auch warme Jacken haetten.
Wird schon nicht sooo schlimm sein, dachten wir und hatten beschlossen, dass ein langaermeliger Pullover reichen muss. Ein Schneeanzug waere wohl angebrachter, es wurde lausig kalt und diese kalte Luft pustet ja auch auf die Koepfe. Meine Haare filtern es noch ein wenig, aber des Kaeptn glatte Frisur ist nicht klimaanlagenfreundlich. Er hat keinen Hut, keine Kappe. Wer denkt denn auch an so was? Derjenige, der das kennt – die Kinder im Bus sassen mit Muetze und Handschuhen auf ihrem Platz. Andere Laender, andere Sitten.
Wer sitzt im Hochsommer in Europa so angezogen im Bus?

Dennoch vergehen die Stunden schnell. Es gibt wieder viel zu sehen, einige Pausen zur Erfrischung waermen uns die kalten Knochen kurzzeitig wieder auf. Im Hals kratzt es bereits und ich ahne, dass so eine Eiszeit mit Wechsel aus der Tropensonne eventuell Folgen hat.

Bogota liegt 2.660 m hoch und empfaengt uns entsprechend kuehl und auch mit regelmaessigen Wolkenbruechen. Die Nachrichten berichten daher staendig von neuen Erdrutschen und Abhaengen, die Haeuser mit sich herunterreissen. Zum Busbahnhof, an dem unser Bus ankommen soll, schwimmen wir das letzte Stueck und rutschen durch den Schlamm. Obwohl doch fast ganzjaehrig konstant dieses Wetter herrscht, werden weder Gullys funktionstuechtig angelegt, noch die Bauweise am Berg veraendert. Es kann nur zu diesen vielen Erdrutschen fuehren wie in Brasilien auch. Viele Strassen sind die meiste Zeit unbefahrbar. Das Wasser kann nirgendwo ablaufen.

Daher sind ueberall die Buergersteige so hoch, dass Kinderwagen oder Rollstuehle so gut wie gar nicht existieren. Nicht nur der Gehweg ist hoch, auch der Eintritt in die Haeuser wird erschwert durch die beruehmte Bogota-Schwelle, damit die Innenhoefe nicht ueberflutet werden.

Es haelt jedoch nicht die Feuchtigkeit auf, die sich in den gekaelkten Waenden festsetzt. Mittelklassehotels, Pensionen, und Hostels haben keine Heizungen, dementsprechend klamm ist alles. Bettzeug, Handtuecher ...... ungemuetlich und kuehl, 14-16 Grad. Tagsueber ist das kein Problem. Wir sehen uns die Viertel und Sehenswuerdigkeiten an, die wir uns aus dem Reisefuehrer ausgeguckt haben und bei Regen gibt es immer ein warmes Plaetzchen im Cafe.

Nach bereits 6 Wochen im Land gelingt es mir erst in Bogota, meine in Cartagena geschriebenen Ansichtskarten fuer die Lieben daheim abzusenden. Wir durchschauen das Postwesen noch nicht, als ich die Karten kaufte, gab es keine Marken, aber „manana“ morgen! So blieb dies und die Frage nach der Post bescherte uns Irrwege durch die Stadt. Irgendwann gab es dann eine Poststelle, aber hier bekommt man keine Marken. Warum und wieso nicht, wissen wir nicht. Unser Spanisch reicht fuer die Erklaerung nicht aus.

Aber doch in Bogota, hier verstanden wir, es gibt keine normale Correo, Post wie sonst. Private Dienste befoerdern Post und Pakete, aber Briefmarken gibt es keine. Unter Vorlage des Reisepasses und mit vielen Unterschriften meinerseits und natuerlich fuer Pesos konnte ich die Karten ihrer Fuersorge ueberlassen. Fuer das Porto koennten wir die ganze Wochen essen, es ist das teuerste an Serviceleistung, was wir in ganz Kolumbien loehnen mussten. Pech, dass ich die Karten in ihrer Vielzahl schon geschrieben hatte, sonst haette ich sie fast selbst nach Deutschland bringen koennen. Also wenn sie ankommen bei Euch, haben sie bereits eine Geschichte fuer sich!

Wir sind die Menschenmenge nicht mehr gewoehnt. Und das beschauliche Barichara konnte uns auch nicht entsprechend vorbereiten auf diese Millionenstadt. So merken wir, dass dieses Kontrastprogramm mehr als anstrengend ist.

Nachts frieren wir wie die Schneider und wir sagen uns, gut dass wir hier waren aber noch besser fahren wir weiter. Medellin stand noch auf dem Plan. Aber der Klimawechsel ist wie erwartet ein Angriff aufs Imunsystem und eine dicke Erkaeltung im Anmarsch bei mir.

So buchten wir kurzerhand den Rueckflug und so interessant die Reise auch war, krank bin ich lieber im eigenen Bett. Die Bazillen haben sich auch so richtig ausgetobt, sie lassen nichts aus, um mich eine Woche lang lahm zu legen. Aber ich will nicht jammern, es ist das erste Mal auf unserer langen Reise. Es gibt ein Zitat eines Seglers: „ wir ertragen das alles mit Geduld, denn an unserem Dilemma sind wir selber Schuld“.
Wieso faellt es mir in diesen Tagen immer wieder ein?