Nun ist einige Zeit vergangen, nachdem ich am 23. März 2008 mit Wilfried u 73 kg mehr oder weniger nützlichem Gepäck bei munteren Schneetreiben am Köln/Bonner Flughafen in den Flieger gestiegen bin, um mein „neues Leben“ mit all dem auf seinem Segelboot Senta zu beginnen.

Der Temperaturunterschied von ca. 20 Grad macht das Ankommen leicht und läßt keinerlei Wehmut aufkommen. Etwa darüber, daß nun für lange Zeit mehr km bzw. Seemeilen zwischen Familie und Freunden daheim und mir sind als dies normalerweise der Fall ist.

Die vorausgegangenen Wochen und Monate waren sehr spannend, begleitet von freudiger Erwartung und kleinen Zweifeln unter dem Motto: was mach ich da? Bin ich, sind w i r zu mutig, zu schnell ........ ?

Diese Frage stellten wir uns insgeheim und auch manchmal laut – aber nie mit Überzeugung, denn es war klar, wenn wir uns nicht trauen werden wir es nie wissen, wie es geworden wäre .....

Alles begann mit einer Annonce im Kölner Stadtanzeiger, Samstagsausgabe:


„Vorruheständler, 57 J/1,74 schlank ....


Annette

KSTA


na wenn dies nicht nach mir ruft ?!

Das „sportlich“ großzügig übergehend – war ich doch viel zu klein für meine paar Kilos und liebe das gemütliche Leben mit einem guten Buch und einem leckeren Tässchen Tee auf dem Sofa doch über alle Maßen – formulierte ich neugierig geworden einen Hinweis per E-Mail, daß es mich gibt
und drückte vorsichtig mein Interesse aus und die Bereitschaft zu weiteren Botschaften über mich und mein Leben.

Dies war eigentlich nicht so unerfüllt und fürchterlich, daß da unbedingt ein neuer Mann mit hineingepappt werden mußte und der noch irgendwo im weitem Ozean auf mich wartete. Lange Jahre des Alleinlebens haben mich gelehrt, daß ich sehr gut allein leben kann, deuteten aber schon länger an, daß dieser Zustand nicht unbedingt und für immer beibehalten werden möchte, sollte, könnte.


Reisen, ferne Länder und Kulturen, das Meer und auch das Leben auf dem Wasser – das alles regte lang vergrabene und beiseitegelegte Träume, Visionen und Sehnsüchte neu an und schon meine Gedanken daran machten es wieder lebendiger den je.

Also überlegte ich nicht lang, schrieb eine E-Mail an den Käpt´n und ging nicht davon aus, eine Antwort zu bekommen. Weiß ich doch, daß die eine oder andere Leserin derselben Zeitung ebenfalls zur Taste greifen würde, um mehr über den Seemann zu erfahren. Und sicherlich auch eine sportlichere!

Sonntagsmorgen kam prompt die erste Flaschenpost per Internet und es schlangen sich die Netze um mich und wickelten mich ein. Beeindruckt war ich und erfreut über die sachliche (ohne nach Bewunderung zu heischen) humorvolle und erklärende Art, warum M a n n auf diese Art so vorpirscht.
Aber allein auf seine Worte wollte sich der Käpt´n nicht verlassen. Zur Sicherheit legte er noch wunderbare Fotos dabei. Momentaufnahmen von seinen Reisen, fast ausschließlich Fotos aus der Natur und ich nahm wahr, daß er nicht jedesmal ein lächelndes Gesicht in den Vordergrund stellte, sondern das Fleckchen Erde des Moments voll erfaßte und ihm auch den rechten Stellenwert gab im Zusammenhang mit unserem Planeten.


alter Baum auf la Gomera

Natürlich erfüllten diese schönen Fotos auch jenen wertvollen Zweck, genau den Sehnsuchtstropfen überquellen zu lassen, der Auslöser dafür sein könnte, auf der Stelle dem Lockruf zu folgen!

Es begannen täglich seitenlange E-Mails hin und herzuflattern, von mir mit viel Text, von Wilfried mehr Fotos von seinen langen Reisen die er in den entsprechenden Ländern gemacht hatte.
Unzählige SMS erfreuten die Handyfirmen, die reichlich abbuchen konnten. Die Telefongesellschaften erhöhten die Druckauflagen für die Telefonkarten, die Wilfried auf den kanarischen Inseln benutzte, um stundenlange Gespräche zu jeder Tages- und Nachzeit zu führen.

So nahm das Schicksal seinen Lauf. Wir wurden natürlich immer neugieriger aufeinander und wir konnten es nicht verhindern, den Gedanken an eine erste Begegnung ernsthafter in Angriff zu nehmen.
Ob ich mir vorstellen könnte, mal für einen Urlaub an Bord zu kommen? Oder noch schlimmer, in Siegburg alles aufzulösen und überhaupt an Bord zu leben? O je, na wenn das nicht plötzlich sehr konkret wurde!? Da fordert das Träumen und Vorstellen davon viel weniger an Einsatz und Entschlußfreudigkeit und ist so harmlos.

„Komm einfach mal für eine kurze Zeit und dann sehen wir weiter ...“ ja, hört sich so normal an und ruft doch gleichzeitig so viel Herzklopfen hervor. Ja und Nein wechselten sich ab in Gedanken. Natürlich sagt die Vernunft Vorsicht, mein Abenteuerblut der Vorfahren – die schließlich Fischer hießen und vielleicht auch waren – sagt „nu los“, da hast Du doch immer drauf gewartet.

Auf der Liste dafür oder dagegen gab es nicht wirklich eine Minusseite, um einen Urlaub mit ihm auf dem Boot zu verbringen. Es lag im Hafen von Teneriffa-Süd und wartete samt Käpt´n auf mich. Was ist, wenn er mir gefällt? Er und das Leben auf dem Boot?

Trotz Vorfreude und Ungeduld schlichen sich so kleine Mißtrauensteufelchen ein, die mir versuchten klarzumachen, daß F r a u doch nicht so plötzlich ein Gesamtpaket an Wunscherfüllung bekommen kann und das noch so mühelos. Ein neuer Mann, der zu mir paßt mit der Zeit und der Bereitschaft, die Welt zu erkunden open end. Er lebt bereits so und präsentiert ein Leben, das eigentlich genauso meins sein könnte.

Seit meinem 16. Lebensjahr träumte ich von Reisen in die weite Welt, je weiter desto verlockender und spannender.
Nun liegt zwischen damals und heute mit meinen 54 Jahren ein ganzes ereignisreiches und auch gutes Leben. Ein ganz normales Leben mit jung verlieben, jung heiraten und wie das so üblich ist, zu zweit ein Leben aufzubauen. Und schließlich bescherte mir diese Normalität eine Ehe von 23 Jahren (die leider mit dem Tod meines Mannes mit 46 Jahren endete) und zwei wunderbar gelungene Exemplare von Söhnen, die ich sehr liebe und die ich nicht missen möchte.
Sie sind bereits erwachsen, stehen im Beruf und meine Entlassung von der Funktion Mutter ist längst erfolgt. Das bedeutet für mich, ich bin wirklich frei für eine neue Lebensgestaltung .

Mein Focus ist nun auf mich gerichtet: loss mer jon würde der Kölner sagen.

Zurück zu dem Hin und Her in meiner Entscheidungsfindung. Ich folge dem Ruf der weiten Welt nicht nur emotional, sondern auch in Wirklichkeit.
So höre ich im entscheidenden Moment wenn die Zweifel überhandnehmen und mein gut geregeltes Leben in Siegburg mir mit Vorzügen und Bequemlichkeit schmeicheln will auf meinen Sohn Nils, der mich noch einmal kräftig darin unterstützt, auf meine innere Stimme zu hören.
Mein Vater pflegte den Ausspruch: „Der Boomerang kommt immer zurück“, das traf auf Nils zu. Er brachte genau die Argumente, Gedanken und Worte, mit denen ich die Jungens früher immer so unbedarft bestärkte in ihren Vorhaben. So kamen meine klugen und ermutigenden Sprüche boomerangmäßig zurück . Etwa: „Du sagtest doch immer, nichts bildet so wie Reisen und macht reich an Erfahrungen und Verstehen. Der Horizont wird weiter ... usw.“, auch Jens, mein ältester Sohn hakte dort ein und bestärkte mich und sie machten mir Mut.

Also überwand ich frohgemut auch noch die letzten vorsichtigen Zweifel und buchte nun sofort einen Flug nach Teneriffa.
Der Käpt´n erwartete mich mit genausoviel Herzklopfen, davor schützt auch unser Alter nicht! Hatte die nervöse Spannung nun ihr Höchstmaß erreicht, machte der erste „Augenblick“ dies schnell wieder wett und wir konnten uns beruhigen.

Der intensive Kontakt aus der Ferne war wohl authentisch und ehrlich. Wir hatten ganz bewußt das Anpreisen unserer Vorzüge und Lieblichkeiten auf ein Minimum beschränkt.
Von „Aug zu Aug“ sprühten die Funken und es begannen ein paar wunderschöne Wochen.
Alle Zweifel waren weg und wir freuten uns auf die kommende Zeit.

So standen meine Landbeine eine Stunde später zum 1. Mal auf einem schwankenden Segelboot.
Zwei Wochen wollte ich eigentlich bleiben, es wurden sechs daraus. Dem Käpt´n war es auch wichtig, daß ich in dieser Zeit viel Wind um die Ohren und reichlich Wasser unter die Füße bekam. Das bedeutet, wir segelten viel zwischen den Inseln umher auch mit Nachtfahrten, damit ich so langsam „Seefrausbeine“ bekäme. Schließlich konnte wir ja gar nicht wissen, ob ich seefest sein würde.


erster Fisch

So bewegten wir uns sechs Wochen zwischen den Inseln hin und her und ich konnte kein „tatkräftiger“ Geselle bei den Handhabungen des Segelns sein, aber das Bootsleben live und lebendig ist einfach toll und so normal. Und das Schlimmste ist, ja, ich kann mir gut vorstellen, immer auf so einem Schiff zu leben – o je.

Auch das erste flaue Gefühl beim ersten Mal Segeln und das Erleben der ersten Nachtfahrt, die dazu noch sehr stürmische See, konnten nicht dazu beitragen, wieder im beschaulichen Siegburg anzuheuern.

Dieses so freie und zeitlose Leben immer draußen und auf dem Meer entfaltete rasch seinen ganzen Reiz vor mir aus und nach den ersten Tagen gab es nur noch Zweifel aus der eingeimpften anerzogenen Vernunft heraus – nicht aus dem Gefühl. Dies signalisierte eindeutig: ja, das könnte auch mein Leben werden, wenn ich mich nur traue.

Nun gut, nach 6 Wochen brachte der Flieger mich erst einmal wieder zurück in die Heimat und wir verabredeten uns für Dezember in Siegburg. Schließlich wollte ich meinen Seemann auch einmal an Land erleben und kennen lernen.
In dieser Zeit begannen wir konkret über die Gestaltung meiner Auswanderung zu reden. Die Umsetzung geschah mühelos. Mein lieber Freund Helmut bot mir seinen zweiten Keller für meine Habe an, die ich natürlich nicht einfach weggeben wollte und die auf einem Segelboot den Rahmen sprengen würde. Davon abgesehen, das Meiste was sich an Land angesammelt hat braucht man/frau gar nicht, und der Gedanke, mit leichtem Gepäck zu reisen, gefiel mir sowieso schon lange.

Was dann so anstand, wurde nach und nach erledigt. Wohnung kündigen, Zweifler besänftigen, Kram verpacken und vor allem geschickt aussuchen, was mit soll! Das ist eine ganz eigene Geschichte, da komme ich noch drauf zurück. Allein die Auswahl, welches Buch meiner zahlreichen Bücherwände unbedingt mitgehen muß auf große Fahrt, nahm viel Raum ein in meinen Überlegungen – zumindest in den ersten Wochen.


Quilt la Gomera


Zu allem Überfluß wurde ich noch kurzfristig vom Quiltvirus überfallen... für die Leser, die nicht wissen, was Quilten bedeutet: frau zerschneidet Stoffe in winzige Stückchen, um sie dann mühsam und kunstvoll auf verschiedene Weise wieder zusammenzunähen für z.B. eine wunderschöne Decke. Das braucht natürlich jede Menge Werkzeug, Stoffe, Vlies usw. und ..... eine Nähmaschine!

Wilfried, ein absoluter Minimalist, wußte natürlich genau, was ich wahrscheinlich nie nich brauchen würde und hätte mich gern vor Fehlgepäck bewahrt. Zum Glück kam er gerade noch rechtzeitig auf die gute Idee, mich selbst merken zu lassen, was ich nicht brauche. Vorausgegangen waren so Diskussionen über den Nußknacker, den er sich in großer holzgeschnitzter buntbemalter Gestalt vorstellte, der aber eigentlich nur eine harmlose übliche Zange war.
Ich hatte mich zur Mitnahme dessen entschlossen in der Erinnerung daran, daß wir während meines Urlaubs dort Walnüsse mit einer Riesenzange aus der Werkzeugkiste des Kapitäns, die sich gar nicht in meine viel zu kleinen Hände fügen wollte, geknackt haben. Ich hatte ziemlich viel Schwund zu beklagen. Unter dem Motto: Selbst ist die Frau, flutschten die meisten Walnüsse übers Meer statt in der Müslischale zwischen Obst und Haferflocken. Ein bißchen Schwund ist immer, sagt man, aber ich wollte das nie so richtig einsehen. Daher die verwegene Idee, es mit einem Nußknacker zu versuchen.

Mit diesen ach so weitreichenden Ideen und Vorbereitungen war ich noch eine Weile beschäftigt, während der Käpt´n in Mogan auf Gran Canaria das Boot von Grund auf noch einmal überholte, um dann zurückzukehren für den Count-Down. Loss mer jon

Am 23.3.2008 war es dann endlich soweit, Ihr erinnert Euch: Schneegestöber in Köln, Sonne in Mogan ...der Flieger ging um 3.15 in der Nacht......

das Abenteuer kann beginnen!

Wir wollen zusammen die Welt umsegeln, solange es uns so gut geht und wir so mutig sind, und gerne werden wir davon berichten.


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